Eine lineare Geschichte des Cyberfeminismus ist nicht möglich und
auch nicht wünschenswert. Cyberfeminismen gibt es viele, mit vielen
Ursprüngen, Definitionen und Zielen. Gleichgültig welche Cybertheoretikerin,
Cyberpolitikerin oder Cyberkünstlerin wir zitieren, jede definiert
ihn anders. So formuliert die erste cyberfeministische Internationale 1997
in Kassel 100 Antithesen, was der Cyberfeminismus nicht ist, um einer einengenden
Definition zu entgehen (obn 1997: 89). Und auch auf der Website des Old
Boys Network, dem größten internationalen cyberfeministischen
Netzwerk, finden wir sechs Antworten auf die Frage 8. der faq.
Insofern ist es unumgänglich, daß wir eine eigene Genealogie
schreiben, mit Fokus auf die Fragestellungen, die uns wichtig erscheinen.
Unter dem Blickwinkel unserer Suche nach feministischer Handlungsfähigkeit
(im und in Bezug auf den Cyberspace) werden wir nun eine kurze Geschichte
des Begriffs und der Ideen, die dahinter stehen, versuchen, wobei diese
Geschichte nicht auf dem "Mythos ursprünglicher Einheit, Vollkommenheit,
Glückseligkeit und des Terrors, der durch die phallische Mutter repräsentiert
wird, von der sich alle Menschen lösen müssen" (Haraway 1995b:
35) beruht.
Wir nähern uns nun dem Phänomen des "russischen Cyberfeminismus",
und die Spannung, die sich allein in dieser Zusammensetzung der Wörter
verbirgt, soll hier nicht unthematisiert bleiben.
Der Begriff des russischen Cyberfeminismus scheint eine Lokalisierbarkeit
einer Form von Cyberfeminismus zu versprechen. Jedoch betrachten wir bewußt
nicht Cyber-feminismus in Rußland. So scheint uns der Begriff eher
eine Kontextgebundenheit auszudrücken und referiert auf einen Kulturraum
oder auch einen symbolischen Raum. Es wird deutlich werden, daß es
einen Bezug auf russische Erfahrungen gibt, wobei dazu auch eine Homogenisierung
und Russifizierung gehört, die andere Positionen und Erfahrungen im
russischen geographischen Raum ausschließen, denen aber auch durch
Öffnung begegnet wird. Diese Referenz auf einen russischen Kulturraum
ist jedoch nicht zwangsläufig geographisch gebunden, und so mischen
sich russische Cyberfeministinnen von verschiedenen Punkten der Welt ein:
Aristarkhova meist aus Singapur, Ol'ja Ljalina zur Zeit aus Stuttgart und
München. Andererseits wird am Beispiel des Petersburger Cyber-Femin-Club
erfahrbar, daß die Lokalität und Verankerung in einer örtlichen
Szene durchaus von Bedeutung ist und - gerade auch innerhalb Rußlands
- nicht so leicht zu durchbrechen.
Wie auch im vorigen Kapitel nähern wir uns vor allem durch Fragen...