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ReiseErfahrungen

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"Mit Netz und ohne Boden?"

    "So many representations, so many appearances separate us from each other." (Luce Irigaray)
    "Wir erschaffen unsere eigenen (Cyber)Kulturen, die die Linien unserer Macht, unserer lebendigen Energie, verkörpern werden, und das verändert den Cyberspace auch als feministischen Raum." (Irina Aristarkhova, 1999a)
Wenige Tage vor Abgabe unserer Arbeit war die Site des Cyber-Femin-Clubs im Netz verschwunden. Da, wo wir den inzwischen vertrauten Relaunch mit den Gaia-Statuetten erwarteten, fanden wir eine kommerzielle Website für kulturelle Events in St.Petersburg. Obwohl wir vermuten, daß sich die Site gerade im Umbau befindet und nach einiger Zeit wieder auftauchen wird, wurden uns an dieser Stelle noch einmal das Paradox und die scheinbare Bodenlosigkeit unserer Arbeit bewußt. Worauf haben wir uns gestützt? Gibt es überhaupt Cyberfeminismus in Rußland oder "russischen" Cyberfeminismus? Immer wieder wurde betont, daß es nur sehr wenige sind, die diesen gestalten. In den Online-Gesprächen stand vor allem Irina Aktuganova für den Cyberfeminismus in Rußland. Irina Aristarkhova lebt zur Zeit in Singapur, und Alla Mitrofanova schreibt, daß sie sich derzeit mit anderen Themen beschäftigt. Neben den Cyberfeministinnen selber war bisher ihre Website ein Anhaltspunkt für uns und unsere Arbeit. Unsere Erfahrung bestätigt jetzt, daß sich diese mit dem "Cyberspace" in einem sehr unsicheren und unverbindlichen "Raum" befindet, in dem es nötig ist, "Verankerungsachsen" zu schaffen.
Wir denken, daß ein solches Ereignis, wie das Verschwinden einer Website, uns den Boden nicht entziehen kann, da wir unsere Fiktionen nicht allein im Cyberfeminismus verankert haben, bzw. dieser schon ein Sich-Einlassen und ein Rechnen mit Bodenlosigkeit und Paradoxen ist. Davon handelt Cyberfeminismus. Davon handelt unsere Arbeit.
Claudia Reiche sagt, daß Cyberfeminismus erst noch erfunden werden muß und permanent erfunden wird. Auch wir haben ihn mit dieser Arbeit "erfunden" - und er existiert mit ihr, der Diskussion, der Website. Er existiert durch die Verbindungen, die entstanden sind, aber auch ständig neu hergestellt und "erfunden" werden müssen.
Das Stichwort der "Erfindung" führt uns zurück zu den (zwei) wesentlichen und umstrittenen Bezugspunkten cyberfeministischer Strategien: "Frau" und Frauen und "Cyberspace", deren Verbindung wir (mit Astrid Deuber-Mankowsky, Teresa de Lauretis, Irina Aristarkhova und Donna Haraway) in der symbolischen Fiktion gesucht und gefunden haben. Das anfängliche Anliegen einer Demystifizierung, die Skepsis gegenüber Neuen Technologien haben wir mit feministischen Metaphern gefüllt, und sie ist formulierbar geworden. Der Begriff der symbolischen Fiktion drückt eine bestimmte Haltung sowohl zur Produktion der "Frau" als auch zum "Cyberspace" aus. Diese beinhaltet Distanzgewinnung und gleichzeitig die Lust auf Erfindung, ohne Wahrheit zu beanspruchen - eben die Lust auf Fiktionen, die ihre "Ursprünge" nicht vergessen und nicht unschuldig sind.
Zunehmend wichtiger und erfahrbarer im Prozeß unseres Arbeitens ist ein Verständnis von Ethik geworden, daß uns auch die Begriffe von "Frau" und "Cyberspace" noch einmal anders und neu betrachten läßt. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit ethischen Vorstellungen begegnet uns zwar auch schon bei Haraway und Astrid Deuber-Mankowsky. Als Begriff ist diese jedoch erst mit Irina Aristarkhova in unser Nachdenken getreten. Sie setzt den Begriff der "(Cyber)Ethik" explizit - fast als Synonym bzw. Ersetzung von Cyberfeminismus - ein. Die Erfahrung dessen, was damit gemeint sein könnte, verdanken wir dem Projekt der Website und den Online-Gesprächen - der Diskussion mit Larissa, Irina, Alla, Irina und Valentina. Haraways Bestimmung "gesellschaftlicher Wirklichkeit" als "gelebte soziale Beziehungen", die wir als Navigationshilfe nutzten, um den Boden nicht zu verlieren in der Komplexität von Virtualität und Realität, hat neuen Sinn gewonnen. Das Wissen, daß diese Beziehungen nur sehr partial und situativ lebbar und beschreibbar sind, führt uns zu den konkreten Räumen und konkreten Frauen und damit zu Fragen des Umgangs miteinander, des gemeinsamen Handelns. Unsere Betrachtungen von Realität, Virtualität, Repräsentation und die Ansätze für Handlungsfähigkeit in Fiktion, Performanz und Parodie sind mit sehr konkreten Erfahrungen konfrontiert worden. Zum Begriff der Verantwortung ist der der Gastfreundschaft hinzugekommen. Verantwortung sahen wir zunächst als Verantwortung für Wissen und (Macht)Positionen in konkreten Kontexten, doch gerade in Bezug auf den Cyberspace bedeutet diese auch die Herstellung von Verbindlichkeit und Verbindungen. Als strategisches Mittel, um die Öffnung herzustellen, die solche Verbindungen ermöglicht, bietet Aristarkhova die Metapher der "Gastfreundschaft".

So wird für Cyberfeminismus die Vernetzung zum Netz, die nicht auf dem Boden von festen Definitionen und Identitäten aufbaut.
Cyberfeminismus als Streitkultur, als verantwortungsvolle Performanz, die sich selber, die "Frau" und den "Cyberspace" vorführt. Gegen die Illusion einer körperlosen Welt, gegen die noch immer dominanten Produktionsweisen von "Frau", "den Anderen" und "spaces-offs" sehen wir ihn in feministischer Tradition als eine Selbstermächtigung zur Veränderung sozialer Beziehungen. Insofern eine Fiktion, die wir gemeinsam mit anderen gestalten...
 
 

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