Auch innerhalb feministischer Auseinandersetzungen mit den neuen
Technologien1 findet sich neben der gewohnten feministischen Technikphobie
ein euphorischer, positivistischer (also wenig kritischer) Diskurs um die
Chancen, die das Internet und andere Technologien bieten. Hierbei wird vor
allem auf seine basisdemokratischen bzw. anarchistischen Strukturen,
weltweite Kommunikationsmöglichkeiten und Entkoppelung vom biologischen
Körper (also das Versprechen geschlechtsneutraler Entkörperlichung, und
somit eine Gleichheit bezogen auf gender und race) verwiesen.
Ein ähnlich gelagerter Diskurs findet/fand (vor allem in den
ersten Transformationsjahren) in der ehemaligen Sowjetunion (fSU) statt.
Wobei hier nicht so sehr neue Möglichkeiten in einer "new frontier"2
gesehen werden, sondern eher in einer "tabula rasa" : das alte ist
zerschlagen, man kann von vorne beginnen.
Daß bei beiden Diskursen weder diese Chance der unbeschriebenen
Fläche jemals existierte und erst recht nicht für feministische Politik,
sollte eigentlich klar sein. Daß diese Versprechungen dennoch gemacht
werden/wurden und womit dies zusammenhängt, wird so zum Ausgangspunkt
unserer Arbeit.
Sind diese Räume (Internet3 und die Gesellschaften der fSU)
vergleichbar? Welche Rolle spielen Frauen bzw. Geschlecht? Wie sieht die
feministische Auseinandersetzung aus? Gibt es eine feministische Kritik?
Daraufhin setzen wir uns erstmal mit Cyberfeminismus auseinander, also nicht Cyborg-Feminismus (Bezug auf neue Technologien), sondern Feminismus im, über und durch den Cyberspace. Ausschlaggebend sind vor allem die beiden Reader des Old Boys Network (obn), die Dokumentationen der beiden Cyberfeministischen Internationalen. Außerdem recherchieren wir ausgiebig im Internet zu den Stichworten Cyberfeminismus, Frauen und Rußland, Feminismus in Rußland, Kiberfeminizm, Cyborg usw. Zudem lesen wir Texte zu Netzkritik, wie z.B. Geene, Rötzer, Dieffenbach und abonnieren die Mailinglisten nettime und rohrpost. Texte zu den frühen Netzzeiten (Anfang der 90er, als es gerade dabei war, sich zu einem Massenmedium zu entwickeln) führen uns zu Fragen der Identität v.a. innerhalb MUDs und MOOs. Die dort gängigen Praktiken des Gendercrossing mit den damit auftauchenden Fragen der Glaubwürdigkeit und "Echtheit" (z.B. im Fall der "Freundin Joan"4 ) sowie die breite Auseinandersetzung um die Vergewaltigung im Lamda-MOO ("Mr. Bungle case"5 ) liefern uns Ansätze für eine analytische Herangehensweise an den gesellschaftlichen Raum des Cyberspace, der eben alles andere als ein unkodierter, vordiskursiver bzw. freier Raum ist. Weder im Bezug auf Geschlecht noch auf Ethnie6 und andere "körperliche" Zuschreibungen.
Verschiedene Beiträge in den Readern und überhaupt die Herangehensweise
des obn führen bei uns dazu, uns mit der "ersten Generation" der
Cyberfeministinnen zu beschäftigen, von denen wir uns im selben Atemzug
distanzieren: die australische Künstlerinnengruppe vns matrix und Sadie
Plant u.ä..
obn und die von ihnen zusammengeführten Cyberfeministinnen
stehen für uns viel expliziter für eine feministische Politik als dies bei
Plant usw. der Fall ist. Wir wollen also mit unserer weiteren Arbeit
zeigen, daß Cyberfeminismus nicht "nur" künstlerische Praxis und
ästhetisches Spiel ist, sondern mehr sein kann. In diesem Zusammenhang ist
für uns auch der prozentual sehr hohe Anteil von Frauen aus der fSU und
dem ehemaligen Ostblock auf den Treffen der beiden Internationalen
interessant7 , wie auch der Blick auf andere nicht-westliche Länder (z.B.
Mexiko).
Was soll also Cyberfeminismus für uns bedeuten?
Cyberfeminismus setzt sich für uns aus den beiden Strängen
Feminismus und Cyberspace zusammen. Im Gegensatz zu einigen
Cyberfeministinnen, die sich klar als postfeministisch verstehen, muß
Cyberfeminismus für uns feministisch sein. Feminismus bedeutet für uns
eine strategische Körperpolitik, die die herrschenden Machtverhältnisse
fokussiert, angreift und untergräbt. Dies bezieht sich vor allem auf
Geschlecht (Sexismus, Zwangsheterosexualität, Zweigeschlechtlichkeit),
explizit auch im Hinblick auf Ethnie, Klasse und andere minoritäre
Positionen. Feminismus bzw. Feminismen dürfen also nicht die realen
Verhältnisse des globalisierten Pan-Kapitalismus und seine
Ausbeutungsmechanismen ausblenden. Feministische Strategien sind demnach
für uns anti-essentialistisch, minoritär, kurzfristig, parodistisch,
rauschend, ... Cyberfeminismus ist also ein spezieller Feminismus.
Speziell, da er sich auf einen speziellen Raum, den Cyberspace,
bezieht - und feministische Praktiken immer etwas mit Aneignung von Räumen
zu tun haben8 . Cyberspace ist jedoch nicht nur der Raum hinter der
Schnittstelle Bildschirm (von meinem Körper aus gesehen). Neben den
virtuellen Räumen des Internet, von Computerspielen, CDRoms,
Betriebssystemen und anderen "Oberflächen, kann der Cyberspace nicht ohne
die Hardware (Monitor, Eingabegeräte, Disketten, Kabel, ...), ohne die
Entwicklung und Produktion der Soft- und Hardware, ohne die Erfinder,
Entwickler und Produzentinnen und ihre Lebensumstände und Sozialisation
gedacht werden. So wird z.B. die Software meist von mittelschichtigen
(weißen, männlichen twens,...) "Nerds" geschrieben und die Chips von
verarmten, minderjährigen Mädchen aus Nord-Mexiko oder den Tigerstaaten am
Fließband produziert.
Während dieser umfassenden Recherche-Arbeit, die uns immer wieder an das Gefühl eines information overflow bringt, setzen wir uns intensiv mit den Texten und Projekten der russischen Cyberfeministinnen (Aristarkhova, Mitrofanova, Aktuganova, Ljalina und dem CyberFeminClub in St.Pb) auseinander. Es kristallisieren sich unsere "Lieblingsdefinitionen" des Cyberfeminismus heraus: gemäß der oben skizzierten Definitionen von Feminismus und Cyberspace sind das für uns die Texte/Projekte von Ursula Biemann und Irina Aristarkhova, bzw. die Definition von Alla Mitrofanova. Außerdem erstellen wir neun Thesen, was Cyberfeminismus für uns sein kann und soll.9
An diesem Punkt unterbrechen wir erstmal die intensive
Informations-Aufnahme, um ein schlüssiges Konzept für die Magistra zu
erstellen bzw. ein Expose zu schreiben.
Uns ist von Anfang an klar, daß wir einen komparatistischen
Ansatz ablehnen, also weder Rußland gegen den Westen stellen, noch vom
"allgemeinen" Cyberspace (der ja dann doch wieder der westliche wäre...)
zum "speziellen" russischen Beispiel überleiten wollen. Jedoch ist dies
aus zweierlei Gründen schwierig. Wir begründen unsere Ablehnung damit, daß
wir der hegemonialen Annahme des Westens als Maß aller Dinge
entgegenarbeiten wollen und somit klassische Wissenschaft, in der das
"Andere" (in diesem Fall die fSU) als Untersuchungsgegenstand von der
"allgemeinen" (also unserer westlichen) Sicht untersucht wird, in Frage
stellen. Jedoch stehen wir in unserem westlichen universitären
bürgerlichen Kontext und müssen diesen thematisieren bzw. uns klar
verorten. Verstecken wir unseren westlichen Blick nicht eher hinter
unserer Ablehnung einer komparatistischen Methode, statt sie wie
beabsichtigt sichtbar zu machen?
Die andere Schwierigkeit besteht in der rein pragmatischen
Tatsache, daß wie nur sehr wenige Texte von Russinnen zum (russischen)
Cyberspace und Cyberfeminismus ausfindig gemacht haben, und so rein
quantitativ ein Schreiben über russischen Cyberfeminismus in Frage
gestellt wird. Es handelt sich eher um einzelne Frauen, die ihre
individuellen Herangehensweisen und Geschichten haben.
Ausgehend von der Metapher des Raums wollen wir russischen Cyberfeminismus
(kulturhistorisch?) aus den beiden Strängen Feminismus/Feminismen in
Rußland und Cyberspace (also Technik, Computergeschichte, Arbeit,
Globalisierung) in Rußland herleiten und anschließend die oben genannten
russischen cyberfeministischen Ansätze untersuchen und
gegeneinanderstellen - also eine vergleichenden Methode innerhalb des
russischen Kultur- und Theorieraums versuchen.
Begleitend und dokumentierend planen wir eine Website zu
unserer Arbeit, die wir bald darauf konzipierten und erstellten10 . In
diesem Zusammenhang werden wir noch eindeutiger zu praktizierenden
Cyberfeministinnen, als wir bzw. ich11 es bereits waren: innerhalb kurzer
Zeit eignen wir uns die notwendigen Fähigkeiten zum Erstellen einer
Website an (html, den Umgang mit ftp-clients,...) und entwickeln ein
Konzept, das inhaltlich über unsere Magistra hinaus geht, da wir uns
besonders mit der Frage beschäftigen, was auf einer cyberfeministischen
Site zu finden sein muß. Als wichtigsten Punkt betrachten wir die
Möglichkeit des Austauschs und der Kommunikation (also ein
Diskussionsforum auf der Website), und neben der schon existierenden
langen, langen Link- und Lit-Liste planen wir ein Glossarium, technische
Tips/praktischen Cyberfeminismus und realweltliche Termine.
An dieser Stelle möchte ich eine Bemerkung zur Begrifflichkeit
russisch/Rußland/fSU/... einschieben, da sich sowohl immer wieder die
Frage stellt, was russischer Cyberspace sei, als auch mein bisheriger
Gebrauch inkonsequent scheint. fSU bezeichnet für mich den Raum/die
jetzigen Gesellschaften der ehemaligen Sowjetunion (former Soviet Union)
und ist die am Osteuropa-Institut gängige Bezeichnung, um den gesamten
Raum und nicht nur Rußland oder die GUS zu bezeichnen. Bezogen auf unsere
anfängliche Herangehensweise der Gegenüberstellung des Cyberspace und der
fSU als new frontier bzw. tabula rasa macht diese Bezeichnung Sinn. Doch
richtet sich unser Blick immer mehr (es wäre zu fragen, ob nicht schon von
Anfang an...) auf Rußland, also den heutigen Staat, der auf dem Kulturraum
der russischen Sprache, Kultur, Geschichte, Nationalität usw. basiert.
Dies liegt einerseits an unserem Interesse und unseren sprachlichen
Voraussetzungen, andererseits an der Hegemonie des Russischen in Rußland,
in der GUS und in der fSU (auch die SU war in diesem Sinn "russisch").
Diese Ausschlüsse thematisiert Aristarkhova in ihrem Aufsatz über
"Cyber-Jouissance". Also ist russischer Cyberspace der virtuelle Raum, der
sich auf den russischen Kulturraum bezieht? Und was bedeutet das? Also, am
Beispiel www: alle Sites mit den Domains .ru (und .su?), alles
Russischsprachige im Netz (also auch von der "Diaspora" in Israel, USA
usw.), und was noch? Aristarkhova z.B. schreibt auf Englisch aus Sinagapur
und ist dennoch eine russische Cyberfeministin, da sie sich auf Rußland
und russische Frauen bezieht. Was ist mit Sites über Rußland, die von
"außen" gemacht werden? Die Russian Feminism Ressources zähle ich dazu,
unsere Website jedoch nicht...
Empirisch ist der russische Cyberspace also nicht klar zu
fassen.
Wir tendieren immer mehr dazu, vor allem den theoretischen Teil der Arbeit auszubauen und die Auseinandersetzung mit den russischen Cyberfeministinnen12 sowohl anhand ihrer Texte, als auch über Online-Interviews zu führen. Also nicht theoretisch über sie schreiben, sondern ihre Aussagen stehen zu lassen. Wir entwickeln die Idee, daß die Website nicht nur der Begleitung des Arbeitsprozesses dient, sondern ein eigenständiger Teil der Magistra wird.
Doch wissen wir auch nicht, wie wir unsere Forschungen zusammenbringen
sollen, alles scheint zuviel, nicht zu reden von der Betreuung der
Website, die eher hinterherhinkt.
Nach der Suche nach neuen Konzepten wenden wir uns nun der
Kategorie Raum zu.
Dies scheint zu funktionieren. Ausgehend von der These, daß der
Cyberspace, wie jeder (öffentliche) Raum, ein gendered space ist, wollen
wir uns so dem Raum der fSU nähern und dann das Projekt mit den
online-Gesprächen anhängen bzw. aus dem theoretischen Teil Fragen
entwickeln, über die dann die Gespräche geführt werden sollen.
Der Aufhänger ist doch wieder das "Allgemeine", die
Globalisierung bzw. Globalisierung und Gender. Da Globalisierung nicht von
lokalen Räumen zu trennen ist, d.h. von diesen abhängig ist, und diese
wiederum ohne die Hierarchien aufgrund von Geschlecht, Ethnie, usw. nicht
zu denken sind, führt uns das zur Lokalisierung der globalisierten
Geschlechterverhältnisse und dies wollen wir am Beispiel Rußland
untersuchen. Globalisierung erachten wir deshalb als wichtig, da
einerseits die Transformationsprozesse der fSU im Zeichen und Zeiten der
Globalisierung stehen und andererseits das Internet als Ausdruck und
Symbol für Globalisierung gesehen werden kann und wird.
Mit dieser Untersuchung muß eine Auseinandersetzung mit dem
Konzept der (bürgerlichen) Öffentlichkeit einhergehen, also eine Kritik an
der Moderne.
Den kulturellen Raum Rußland wollen wir als symbolischen und
realen Raum anhand von geschlechtlichen Raumzuweisungen und -aneignungen
untersuchen. Dies teilen wir in die folgenden Fragen ein: 1. Welche Räume
werden Frauen zugewiesen? - in der SU? - in der fSU? 2. Welche Räume
beanspruchen russische Frauen? - Feministinnen?
Besonders in der ersten Frage taucht die Frage nach
öffentlichen, d.h. offiziellen und informellen, und privaten, d.h.
persönlichen, Räumen auf. Die zweite Frage beinhaltet eine Unterscheidung
zwischen Frauenbewegung, dem Selbstverständnis von Frauen und dem
Feminismus. Hier werden auch die cyberfeministischen Ansätze als
feministische Strategie veortet. Womit wir diese wieder ins theoretische
Konzept integrieren.
So schön dieses Konzept aussieht, auch dieses stellt uns wieder vor
Probleme. Diesmal scheitern wir an den verschiedenen Ebenen des realen und
symbolischen Raums. Damit meine ich einerseits meine Auseinandersetzung
mit der Gloablisierung, die ich vor allem als eine Globalisierung des
Kapitalismus und der damit einhergehenden Herrschaftsverhältnisse und
Arbeitsbedingungen untersucht habe. Vor allem auf soziologische Texte mich
beziehend wird auch der Cyberspace zu einem realen Raum, der ökonomischen
und hierarchischen Machtstrukturen unterworfen ist, wie jeder andere Raum
auch. Eine symbolische und auch kulturelle (Bedeutungs-) Ebene fällt so
erstmal weg bzw. findet nur in Form von Versprechungen und Projektionen
des herrschenden Diskurses Eingang. Andererseits handelt der "lokale" Teil
der Raumzuweisungen und -beanspruchungen in erster Linie von symbolischen
Räumen auf der diskursiven Ebene.
Außerdem fehlt uns bisher eine theoretische Herangehensweise an
die Analyse von symbolischen Räumen und gendered space. Vielleicht würde
das weiterhelfen.
Mir noch unklare Fragen und offene Aufgaben:
unser übergang vom cyborg- zum cyberfeminismus?
übergang von fSU zu Rußland?
(neu) konzeption der website?
ihre aktualisierung
und jetzt?