* Magistra im Entstehen
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Expose unserer Magisterarbeit (13 04 2000)

Bekannt sind uns zur Zeit vier russische Frauen, die sich als Cyberfeministinnen bezeichnen, und die Existenz des Petersburger "Cyber-femin-clubs" seit 1994. In unserer Arbeit wollen wir ihre Ansätze vorstellen und sie bezüglich ihrer Fokussierungen und Auslassungen diskutieren. Unsere Verortung der verschiedenen Theorien und Praktiken orientiert sich - nach stattgefundener Analyse der Texte der Cyberfeministischen Internationale - vor allem an ihrer Einstellung zu den Kategorien Politik, Körper, Geschlecht und Arbeit. Da uns jedoch die Gefahr eines Blickes, der aus einem westlichen Kontext erfolgt, bewußt ist, wollen wir nicht mit einer vergleichenden Methode arbeiten. Westliche - vor allem amerikanische, australische, deutsche und österreichische - Konzepte sollen nur insofern einbezogen werden, als sie mögliche (cyber)feministische Einstellungen zum Cyberspace umreißen.

Die von uns bevorzugte Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern, bietet die Metapher bzw. Problematik des Raumes, die im Zuge der Transfomation sowohl im theoretischen (siehe vor allem die "Postmodernisten" Sergej Medvedev und Michail Epstein) als auch im politischen und ökonomischen (mit Schlagworten wie Globalisierung, Ende des Ost-West-Konflikts usw.) Kontext diskutiert wird. Auch bezogen auf Geschlecht geht es hierbei einerseits um die Zuordnungen und Besetzungen von privaten und öffentlichen Räumen und andererseits um den symbolischen Raum des/der Anderen. Nicht zuletzt dient hier immer öfter der virtuelle Raum des Cyberspace als Beispiel bzw. steht für die Idee/Chance eines symbolischen und freien Raums. Jedoch dürfen dabei die daran gekoppelten materiellen Räume nicht außer Acht gelassen werden, die mit Fragen der Zugangsberechtigung, der Vernetzung, der Hardware-Herstellung usw. verbunden sind. Warum und unter welchen Bedingungen wird er als ein Ort für Frauen und/oder feministische Politik gesehen? Dies führt uns zu unserem Schwerpunkt der Arbeit, der auf der (theoretischen) Betrachtung der "russischen" Sichtweisen der Geschlechterverhältnisse nach der Perestrojka und der gegenwärtigen weiblichen Subjektentwürfe liegen soll. Dies (wie überhaupt die Beschäftigung mit Cyberfeminismus) setzt eine Auseinandersetzung mit "russischem Feminismus" bzw. der Einstellungen zu verschiedenen Feminismen voraus. Gerade in der Unkenntnis dieser Strömungen besteht ein hohes Konfliktpotential mit westlichen Feminismen, die oft behaupten, in Rußland gäbe es keinen richtigen Feminismus. Jedoch verweist der Begriff "Cyberfeminismus" neben Feminismus auch auf "Cyber", Cyberspace, im weiteren Sinne also Technologie, Technowissenschaften. Cyberspace umfaßt für uns nicht nur die Oberfläche z.B. des www, sondern setzt schon bei der Hardware-Herstellung und deren industriellen Arbeitsbedingungen u.a. an. Dieses Verhältnis zwischen Geschlecht, Arbeit und Technik ist historisch in Rußland bzw. der FSU völlig anders gelagert als im Westen, da Frauen in der UdSSR der Zugang zu technischen Berufen offen stand und auch die Berufstätigkeit von Frauen die Regel war. Im Transformationsprozeß seit der Perestrojka und mit dem Sieg des Kapitalismus gewannen Strukturen die Oberhand, die Frauen wieder aus dem Produktionsbereich hinausdrängten und zu einer Feminisierung der Arbeitslosigkeit und Armut führten. Dennoch ist die Situation derzeit noch eine gänzlich andere als z.B. in den Schwellenländern, was z.B. am nach wie vor hohen Bidungsstandard in Rußland festzumachen ist. Auch Diskussionen in Westeuropa, wie z.B. die Red-Green-Card-Debatte der Bundesregierung, führen diesen Kontrast zwischen Standortvorteil (technische) Bildung und ökonomischen Zusammenbruch im Zuge der freien Marktwirtschaft vor Augen. Daß dieser Kontrast wie überall ein vergeschlechtlichter und in Körper eingeschriebener ist, wollen wir anhand unserer Arbeit am Beispiel des Cyberfeminismus zeigen.

Im folgenden sollen die Ansätze von Irina Aristarkhova, Alla Mitrofanova, Irina Aktuganova und Olja Ljalina kurz skizziert werden.

Irina Aristarkhova

Irina Aristarkhova sieht den Cyberspace als einen Raum, der noch unter Konstruktion und mitten im Prozeß der Etablierung ist - und deshalb für feministische Politik genutzt werden kann. Sie betrachtet ihn nicht als einen machtfreien Raum, sondern ruft auf, den Cyberspace zu politisieren. Eine Politisierung, die vor allem durch "Minderheiten" bzw. in diesem Fall speziell durch feministische Strategien erreicht werden kann. Hierbei geht es vor allem um die Möglichkeit heterogener Gemeinschaften, die/das andere zu empfangen, wobei sie realpolitische, patriarchale Bedingungen und auch die Gefahren für bereits bestehende feministische Cyber-Gemeinschaften durchaus thematisiert. Das "Politische" begreift sie in Anlehnung an Foucault als nichts Neutrales oder äußerliches, sondern als etwas, was Machtverhältnisse impliziert. Sie sieht den Cyberspace als Raum für neue Entwürfe und Erfindungen, speziell für neue Entwürfe einer verkörperten weiblichen Subjektivität. Ihr Vorschlag ist eine Politik des Genusses, "cyber-jouissance". Sie führt den Begriff des Genusses ein, da dieser relativ unbesetzt ist und sich zur Abgrenzung zu den kulturell besetzten Begriffen "Lust" und "Begehren" eignet. Die Suche nach Genuß ist der Aufruf zu einem verantwortlichen Vergnügen. Er dreht sich um die Körper, ist erotisch, aber nicht sexualisiert. Er entsteht dadurch, daß sich die Körper von Frauen im Cyberspace treffen, durch geteilte Sozialität und gemeinsame symbolische Arbeit und aus Differenzen. Es gibt wenige konkrete Vorschläge bei Aristarkhova, doch ist ihr Plädoyer für den Genuß erst einmal als ein Versuch zu verstehen die "Frau" den gesellschaftlichen Zuschreibungen zu entziehen und Energien für neue Entwürfe freizusetzen. Dabei ignoriert sie jedoch nicht die Schwierigkeiten und Machtverhältnisse - auch im Cyberspace -, sondern fordert eher dazu auf, sich darüber hinwegzusetzen. Ihr Ausgangspunkt sind "Frauen" und "Körper" und eine Ethik der sexuellen Differenz, wobei sie sich sehr stark an Irigaray und Foucault orientiert. Sie sieht "Frauen" als kulturelle Konstruktionen an. Die Schaffung/Erfindung eines verkörperten weiblichen Subjektes bezeichnet sie als eine risikoreiche, sozial-politische Wahl an. Unter anderem durch die Betonung der "Erfindung" entgeht sie einer ontologischen Festschreibung von "Frau" und jongliert eher mit deren Zuschreibungen. In Anlehnung an Irigaray sieht sie "Frauen" als noch-nicht-Subjekte, als Subjekte im Werden, die sich von männlichen Subjekten unterscheiden werden. Sie sind "nomadische Subjekte", die aber Verankerungsachsen schaffen müssen, die ihnen Bewegungsfreiheit als nomadische Subjekte erlauben. Daß sie den Körper in den Mittelpunkt feministischer Aktion stellt, begründet sie vor allem mit Foucault, damit, daß jede Politik des Subjektes in seiner Körperlichkeit verankert ist, da der Körper im Zentrum der produktiven Macht steht. Sie bezeichnet es als eine ebenso politische Entscheidung, den Cyberspace als körperlos wahrzunehmen, wie ihn als verkörpert zu empfinden. Aristarkhova lebt und lehrt in Moskau und Singapur. Die Tatsache, daß sie stark von westlicher Philosophie/Feminismus geprägt ist (Studium in GB, Dissertation über "Female Identity in Contemporary French Psychoanalysis") erklärt vielleicht unsere Affinität zu ihr, bzw. den für uns leichteren Zugang zu ihren Texten.

Irina Aktuganova

Irina Aktuganova leitet (gemeinsam mit Sergej Busov) die Galereja 21 in der Pushkinskaja 10 (Petersburg), eine Galerie für experimentelle Künste und Medienprojekte. Sie war auf der St. Petersburg Biennale 1996 Kuratorin der Sektion "Electronic Page" und wirkt im Petersburger Cyber-Femin-Club mit. Ihr Hauptthema - vor allem in Diskussionen und Interviews - sind die Unterschiede zwischen Frauen und den Feminismen in Ost- und Westeuropa. Interessant ist, daß sie sich durch ihre Kunstaktivitäten und das Betreiben der Galerie zur derzeitigen kulturellen und sozialen Lage in Petersburg ins Verhältnis setzen muß. Die neuen Medien sieht sie sehr positiv und als Chance für Frauen, wobei sie reale Lebensbedingungen auszublenden scheint. "This new media space is an opportunity for women to communicate independently and exchange their skills, self-articulations and creativity. It is a place to provide access to the internet and technologies, where men cannot interrupt us, where we can be really equal and promote our ideas." Russischen Cyberfeminismus bezieht sie auf die doppelt marginale Position sowohl von Feminismus im westlichen Sinn (pc - political correctness) als auch von Cyberspace (bzw. der Quantität von Personal Computern - PC). Sie betont jedoch, daß es für Frauen in Rußland kein Desideratum bezüglich des Umgangs mit Technik gäbe und verweist darauf, daß die (Petersburger) Avantgarde der Medienkunst und -philosophie aus Frauen besteht. Dies verweist auf eine ihrer grundlegenden Vorannahmen , daß die Zeit der männlichen Zivilisation bereits geschichtlich überholt sei; und es stellt für sie kein Problem dar (wie es im Westen der Fall wäre), daß Männer Mitglieder im Cyberfeminclub ist. In dem Text "Mother, Father, Power and the Global Project" schreibt sie eine Art Geschichte des Geschlechterkampfes und leitet daraus Konsequenzen für Frauen in Ost und West ab. Sie betrachtet Gesellschaft als ein sich selbst regulierendes System und geht von einem natürlichem Gleichgewicht der Geschlechter aus, das sich von selbst wieder herstellt. Das Geschlechterverhältnis beruht auf Differenz. Die natürliche Macht der Frauen ("der Mütter") gründet auf einer ontologischen Basis, während die Macht der Männer ("der Väter") eine virtuelle ist, die jedoch zu real geworden sei. Frauen wird der Bereich des Privaten zugeordnet und Männern der des Sozialen. Russische Frauen agierten im sozialen Feld über ihre Männer. Die nun notwendige Entkörperung der männlichen Welt findet im Osten durch Ontologie und Geschichte quasi von selbst statt und bedarf keiner Theorie und spezieller feministischer sozialer und politischer Aktivitäten.

Alla Mitrofanova

Alla Mitrofanova sieht den Cyberspace als einen Raum für Entwürfe, wobei der Körper im Mittelpunkt steht. Die gegenwärtige elektronische Entwicklung biete die Chance zur Konstruktion neuer theoretischer Organe, die spezifische Ethiken und Bilder des Körpers provozieren. Der Körper und die Organe des Körpers werden von Mitrofanova als kulturelle Konstrukte verstanden. Der Körper ist unsichtbar und immanent, ein Container von Möglichkeiten. CyberfeministInnen begreifen - laut Mitrofanova - Technologie als eine Erweiterung des Körpers, doch sie betont auch, daß es verschiedene Ansätze gibt: Cyberfeminismus ist nicht eins. Er ist der fruchtbare Boden für die Produktion von Aussagen, Subjektivität und Praxis; handelt mit multiplen Identifikationen, sucht Multiplizitäten, in denen Ansprüche auf Dominanz und binäre Oppositionen aufgelöst werden. Als Motiv für ihre Arbeit und die anderer CyberfeministInnen nennt sie die Suche danach, wie man glücklich sein kann. Das Cyberleben dient der Erfahrung und Lebensfreude. Es provoziert uns, in den kreativen Zusammenhang vonSubjektivität und Körpertechnologien einzutreten. Sie sieht Cyberfeminismus als Theorie und Kunstpraxis, jedoch auch als soziales Leben und Netzwerk, ohne letzteres genauer zu thematisieren. Sie nutzt technische Möglichkeiten und den Cyberfeminismus, um theoretische funktionale positive Werkzeuge zu bekommen, und in ihre Sprache und Theorie fließen technische Begriffe und analytische Vorgehensweisen neben ihre Auseinandersetzung mit (westlicher) Metaphysik mit ein. So wird in der Folge z.B. der Körper als checking point bezeichnet, was an Konzepte erinnert, die den Körper als Austragungsort politischer Kämpfe beschreiben. Mitrofanova fordert, den Körper in eine flexible Kontrollposition zu bringen und ihn von den Zwangsvorschriften, was der Körper ist, zu befreien. Dazu sieht sie Verkörperung als Mittel, als positive Notwendigkeit. Auf künstlerischer Ebene versucht Mitrofanova, ihre Vorstellung im Projekt "virtual anatomies" und im "Cyber-Femin-Club" umzusetzen.

Olja Ljalina

Olja Ljalina, eine Moskauer Netz-Künstlerin, -Kritikerin und -Kuratorin, beschäftigt sich intensiv mit den technischen und semiotischen Möglichkeiten und Gegebenheiten des Internet, versucht explizizte Netzkunst zu machen, anstelle von Kunst im Netz. Eines ihrer Hauptthemen sind "Teleportationen" von Menschen, Objekten und Kunst. Von der künstlerischen Seite her setzt sie sich also mit Entkörperung, dem Downloaden der (menschlichen) Essenz, und einer darauf folgenden Verkörperung auseinander und läßt ihren BenutzerInnen/KundInnen z.B. in http://www.teleportacia.org alle Wahlmöglichkeiten der Selbstbeschreibung offen. In ihrer virtuellen Galerie art.teleporatcia.org muß sie sich jedoch mit den Begrenzungen des freien Kunstmarkts auseinandersetzen, womit interessante Fragen um den Besitz von Kunst und um Garantien der Originalität aufgeworfen werden. Dies führt sie in ihrem neuesten Projekt "Das letzte Museum der Netzkunst" fort, wo sie ein umfangreiches Archiv sämtlicher ihre Kunstwerke betreffenden Daten angelegt hat, unter anderem auch Fortführungen ihrer Kunst durch andere KünstlerInnen. Mit ihrer Wahl der Netzsprache Englisch erforscht und thematisiert sie das Territorium des Internet, im besonderen des russischen Internet. Sie spricht von Überwindung von Grenzen, aber auch von Etablierung neuer Territorien, die jetzt an Sprache statt an Raum gebunden sind. Hiermit verweist sie auf die besondere Stellung der Schriftlichkeit und Literatur in der russischen Kultur, die zur spezifischen Netzkommunikation hinzukommt. In ihren Arbeiten bezieht sie sich nicht explizit auf Frauen und thematisiert kaum Geschlechterverhältnisse, obwohl manche ihrer Arbeiten (z.B. myboyfriendcamebackfromthewar oder "If you want me to clean your screen, scroll up and down") eine weibliche Perspektive auf den vernetzten Computer suggerieren. Dennoch bezeichnet sie sich als Cyberfeministin und ist für uns interessant, da sie aus einer künstlerischen Praxis heraus agiert und das Thema der Entkörperung/Verkörperung neu besetzt. Sie läßt alles offen, spielt mit den Möglichkeiten und den vom SciFi geprägten Erwartungen. (Bsp.: "final will")

Unsere Darstellung wollen wir mit der Gestaltung einer Website (www.cyberfeminismus.de) und - nach Möglichkeit - einer e-mail-Konversation mit den russischen Cyberfeministinnen zu den genannten Themenschwerpunkten verbinden.

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