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Magistra im Entstehen
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Bekannt sind uns zur Zeit vier russische Frauen, die sich als
Cyberfeministinnen bezeichnen, und die Existenz des Petersburger
"Cyber-femin-clubs" seit 1994. In unserer Arbeit wollen wir ihre
Ansätze vorstellen und sie bezüglich ihrer Fokussierungen und
Auslassungen diskutieren. Unsere Verortung der verschiedenen Theorien und
Praktiken orientiert sich - nach stattgefundener Analyse der Texte der
Cyberfeministischen Internationale - vor allem an ihrer Einstellung zu den
Kategorien Politik, Körper, Geschlecht und Arbeit. Da uns jedoch die
Gefahr eines Blickes, der aus einem westlichen Kontext erfolgt,
bewußt ist, wollen wir nicht mit einer vergleichenden Methode
arbeiten. Westliche - vor allem amerikanische, australische, deutsche und
österreichische - Konzepte sollen nur insofern einbezogen werden, als
sie mögliche (cyber)feministische Einstellungen zum Cyberspace
umreißen.
Die von uns bevorzugte Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern,
bietet die Metapher bzw. Problematik des Raumes, die im Zuge der
Transfomation sowohl im theoretischen (siehe vor allem die
"Postmodernisten" Sergej Medvedev und Michail Epstein) als auch im
politischen und ökonomischen (mit Schlagworten wie Globalisierung,
Ende des Ost-West-Konflikts usw.) Kontext diskutiert wird. Auch bezogen
auf Geschlecht geht es hierbei einerseits um die Zuordnungen und
Besetzungen von privaten und öffentlichen Räumen und
andererseits um den symbolischen Raum des/der Anderen.
Nicht zuletzt dient hier immer öfter der virtuelle Raum des
Cyberspace als Beispiel bzw. steht für die Idee/Chance eines
symbolischen und freien Raums. Jedoch dürfen dabei die daran
gekoppelten materiellen Räume nicht außer Acht gelassen werden,
die mit Fragen der Zugangsberechtigung, der Vernetzung, der
Hardware-Herstellung usw. verbunden sind. Warum und unter welchen
Bedingungen wird er als ein Ort für Frauen und/oder feministische
Politik gesehen?
Dies führt uns zu unserem Schwerpunkt der Arbeit, der auf der
(theoretischen) Betrachtung der "russischen" Sichtweisen der
Geschlechterverhältnisse nach der Perestrojka und der
gegenwärtigen weiblichen Subjektentwürfe liegen soll. Dies (wie
überhaupt die Beschäftigung mit Cyberfeminismus) setzt eine
Auseinandersetzung mit "russischem Feminismus" bzw. der Einstellungen zu
verschiedenen Feminismen voraus. Gerade in der Unkenntnis dieser
Strömungen besteht ein hohes Konfliktpotential mit westlichen
Feminismen, die oft behaupten, in Rußland gäbe es keinen
richtigen Feminismus.
Jedoch verweist der Begriff "Cyberfeminismus" neben Feminismus auch auf
"Cyber", Cyberspace, im weiteren Sinne also Technologie,
Technowissenschaften. Cyberspace umfaßt für uns nicht nur die
Oberfläche z.B. des www, sondern setzt schon bei der
Hardware-Herstellung und deren industriellen Arbeitsbedingungen u.a. an.
Dieses Verhältnis zwischen Geschlecht, Arbeit und Technik ist
historisch in Rußland bzw. der FSU völlig anders gelagert als
im Westen, da Frauen in der UdSSR der Zugang zu technischen Berufen offen
stand und auch die Berufstätigkeit von Frauen die Regel war. Im
Transformationsprozeß seit der Perestrojka und mit dem Sieg des
Kapitalismus gewannen Strukturen die Oberhand, die Frauen wieder aus dem
Produktionsbereich hinausdrängten und zu einer Feminisierung der
Arbeitslosigkeit und Armut führten. Dennoch ist die Situation derzeit
noch eine gänzlich andere als z.B. in den Schwellenländern, was
z.B. am nach wie vor hohen Bidungsstandard in Rußland festzumachen
ist. Auch Diskussionen in Westeuropa, wie z.B. die Red-Green-Card-Debatte
der Bundesregierung, führen diesen Kontrast zwischen Standortvorteil
(technische) Bildung und ökonomischen Zusammenbruch im Zuge der
freien Marktwirtschaft vor Augen. Daß dieser Kontrast wie
überall ein vergeschlechtlichter und in Körper eingeschriebener
ist, wollen wir anhand unserer Arbeit am Beispiel des Cyberfeminismus
zeigen.
Im folgenden sollen die Ansätze von Irina Aristarkhova, Alla
Mitrofanova, Irina Aktuganova und Olja Ljalina kurz skizziert werden.
Irina Aristarkhova
Irina Aristarkhova sieht den Cyberspace als einen Raum, der noch unter
Konstruktion und mitten im Prozeß der Etablierung ist - und deshalb
für feministische Politik genutzt werden kann. Sie betrachtet ihn
nicht als einen machtfreien Raum, sondern ruft auf, den Cyberspace zu
politisieren. Eine Politisierung, die vor allem durch "Minderheiten" bzw.
in diesem Fall speziell durch feministische Strategien erreicht werden
kann. Hierbei geht es vor allem um die Möglichkeit heterogener
Gemeinschaften, die/das andere zu empfangen, wobei sie realpolitische,
patriarchale Bedingungen und auch die Gefahren für bereits bestehende
feministische Cyber-Gemeinschaften durchaus thematisiert.
Das "Politische" begreift sie in Anlehnung an Foucault als nichts
Neutrales oder äußerliches, sondern als etwas, was
Machtverhältnisse impliziert.
Sie sieht den Cyberspace als Raum für neue Entwürfe und
Erfindungen, speziell für neue Entwürfe einer verkörperten
weiblichen Subjektivität. Ihr Vorschlag ist eine Politik des
Genusses, "cyber-jouissance". Sie führt den Begriff des Genusses ein,
da dieser relativ unbesetzt ist und sich zur Abgrenzung zu den kulturell
besetzten Begriffen "Lust" und "Begehren" eignet.
Die Suche nach Genuß ist der Aufruf zu einem verantwortlichen
Vergnügen. Er dreht sich um die Körper, ist erotisch, aber nicht
sexualisiert. Er entsteht dadurch, daß sich die Körper von
Frauen im Cyberspace treffen, durch geteilte Sozialität und
gemeinsame symbolische Arbeit und aus Differenzen.
Es gibt wenige konkrete Vorschläge bei Aristarkhova, doch ist ihr
Plädoyer für den Genuß erst einmal als ein Versuch zu
verstehen die "Frau" den gesellschaftlichen Zuschreibungen zu entziehen
und Energien für neue Entwürfe freizusetzen. Dabei ignoriert sie
jedoch nicht die Schwierigkeiten und Machtverhältnisse - auch im
Cyberspace -, sondern fordert eher dazu auf, sich darüber
hinwegzusetzen.
Ihr Ausgangspunkt sind "Frauen" und "Körper" und eine Ethik der
sexuellen Differenz, wobei sie sich sehr stark an Irigaray und Foucault
orientiert.
Sie sieht "Frauen" als kulturelle Konstruktionen an. Die
Schaffung/Erfindung eines verkörperten weiblichen Subjektes
bezeichnet sie als eine risikoreiche, sozial-politische Wahl an. Unter
anderem durch die Betonung der "Erfindung" entgeht sie einer ontologischen
Festschreibung von "Frau" und jongliert eher mit deren Zuschreibungen. In
Anlehnung an Irigaray sieht sie "Frauen" als noch-nicht-Subjekte, als
Subjekte im Werden, die sich von männlichen Subjekten unterscheiden
werden. Sie sind "nomadische Subjekte", die aber Verankerungsachsen
schaffen müssen, die ihnen Bewegungsfreiheit als nomadische Subjekte
erlauben.
Daß sie den Körper in den Mittelpunkt feministischer Aktion
stellt, begründet sie vor allem mit Foucault, damit, daß jede
Politik des Subjektes in seiner Körperlichkeit verankert ist, da der
Körper im Zentrum der produktiven Macht steht. Sie bezeichnet es als
eine ebenso politische Entscheidung, den Cyberspace als körperlos
wahrzunehmen, wie ihn als verkörpert zu empfinden.
Aristarkhova lebt und lehrt in Moskau und Singapur. Die Tatsache,
daß sie stark von westlicher Philosophie/Feminismus geprägt ist
(Studium in GB, Dissertation über "Female Identity in Contemporary
French Psychoanalysis") erklärt vielleicht unsere Affinität zu
ihr, bzw. den für uns leichteren Zugang zu ihren Texten.
Irina Aktuganova
Irina Aktuganova leitet (gemeinsam mit Sergej Busov) die Galereja 21 in
der Pushkinskaja 10 (Petersburg), eine Galerie für experimentelle
Künste und Medienprojekte. Sie war auf der St. Petersburg Biennale
1996 Kuratorin der Sektion "Electronic Page" und wirkt im Petersburger
Cyber-Femin-Club mit.
Ihr Hauptthema - vor allem in Diskussionen und Interviews - sind die
Unterschiede zwischen Frauen und den Feminismen in Ost- und Westeuropa.
Interessant ist, daß sie sich durch ihre Kunstaktivitäten und
das Betreiben der Galerie zur derzeitigen kulturellen und sozialen Lage in
Petersburg ins Verhältnis setzen muß.
Die neuen Medien sieht sie sehr positiv und als Chance für Frauen,
wobei sie reale Lebensbedingungen auszublenden scheint. "This new media
space is an opportunity for women to communicate independently and
exchange their skills, self-articulations and creativity. It is a place to
provide access to the internet and technologies, where men cannot
interrupt us, where we can be really equal and promote our ideas."
Russischen Cyberfeminismus bezieht sie auf die doppelt marginale Position
sowohl von Feminismus im westlichen Sinn (pc - political correctness) als
auch von Cyberspace (bzw. der Quantität von Personal Computern - PC).
Sie betont jedoch, daß es für Frauen in Rußland kein
Desideratum bezüglich des Umgangs mit Technik gäbe und verweist
darauf, daß die (Petersburger) Avantgarde der Medienkunst und
-philosophie aus Frauen besteht. Dies verweist auf eine ihrer
grundlegenden Vorannahmen , daß die Zeit der männlichen
Zivilisation bereits geschichtlich überholt sei; und es stellt
für sie kein Problem dar (wie es im Westen der Fall wäre),
daß Männer Mitglieder im Cyberfeminclub ist.
In dem Text "Mother, Father, Power and the Global Project" schreibt sie
eine Art Geschichte des Geschlechterkampfes und leitet daraus Konsequenzen
für Frauen in Ost und West ab. Sie betrachtet Gesellschaft als ein
sich selbst regulierendes System und geht von einem natürlichem
Gleichgewicht der Geschlechter aus, das sich von selbst wieder herstellt.
Das Geschlechterverhältnis beruht auf Differenz. Die natürliche
Macht der Frauen ("der Mütter") gründet auf einer ontologischen
Basis, während die Macht der Männer ("der Väter") eine
virtuelle ist, die jedoch zu real geworden sei. Frauen wird der Bereich
des Privaten zugeordnet und Männern der des Sozialen. Russische
Frauen agierten im sozialen Feld über ihre Männer. Die nun
notwendige Entkörperung der männlichen Welt findet im Osten
durch Ontologie und Geschichte quasi von selbst statt und bedarf keiner
Theorie und spezieller feministischer sozialer und politischer
Aktivitäten.
Alla Mitrofanova
Alla Mitrofanova sieht den Cyberspace als einen Raum für
Entwürfe, wobei der Körper im Mittelpunkt steht. Die
gegenwärtige elektronische Entwicklung biete die Chance zur
Konstruktion neuer theoretischer Organe, die spezifische Ethiken und
Bilder des Körpers provozieren. Der Körper und die Organe des
Körpers werden von Mitrofanova als kulturelle Konstrukte verstanden.
Der Körper ist unsichtbar und immanent, ein Container von
Möglichkeiten. CyberfeministInnen begreifen - laut Mitrofanova -
Technologie als eine Erweiterung des Körpers, doch sie betont auch,
daß es verschiedene Ansätze gibt: Cyberfeminismus ist nicht
eins.
Er ist der fruchtbare Boden für die Produktion von Aussagen,
Subjektivität und Praxis; handelt mit multiplen Identifikationen,
sucht Multiplizitäten, in denen Ansprüche auf Dominanz und
binäre Oppositionen aufgelöst werden. Als Motiv für ihre
Arbeit und die anderer CyberfeministInnen nennt sie die Suche danach, wie
man glücklich sein kann. Das Cyberleben dient der Erfahrung und
Lebensfreude. Es provoziert uns, in den kreativen Zusammenhang
vonSubjektivität und Körpertechnologien einzutreten. Sie sieht
Cyberfeminismus als Theorie und Kunstpraxis, jedoch auch als soziales
Leben und Netzwerk, ohne letzteres genauer zu thematisieren.
Sie nutzt technische Möglichkeiten und den Cyberfeminismus, um
theoretische funktionale positive Werkzeuge zu bekommen, und in ihre
Sprache und Theorie fließen technische Begriffe und analytische
Vorgehensweisen neben ihre Auseinandersetzung mit (westlicher) Metaphysik
mit ein. So wird in der Folge z.B. der Körper als checking point
bezeichnet, was an Konzepte erinnert, die den Körper als
Austragungsort politischer Kämpfe beschreiben. Mitrofanova fordert,
den Körper in eine flexible Kontrollposition zu bringen und ihn von
den Zwangsvorschriften, was der Körper ist, zu befreien. Dazu sieht
sie Verkörperung als Mittel, als positive Notwendigkeit.
Auf künstlerischer Ebene versucht Mitrofanova, ihre Vorstellung im
Projekt "virtual anatomies" und im "Cyber-Femin-Club" umzusetzen.
Olja Ljalina
Olja Ljalina, eine Moskauer Netz-Künstlerin, -Kritikerin und
-Kuratorin, beschäftigt sich intensiv mit den technischen und
semiotischen Möglichkeiten und Gegebenheiten des Internet, versucht
explizizte Netzkunst zu machen, anstelle von Kunst im Netz.
Eines ihrer Hauptthemen sind "Teleportationen" von Menschen, Objekten und
Kunst. Von der künstlerischen Seite her setzt sie sich also mit
Entkörperung, dem Downloaden der (menschlichen) Essenz, und einer
darauf folgenden Verkörperung auseinander und läßt ihren
BenutzerInnen/KundInnen z.B. in http://www.teleportacia.org alle
Wahlmöglichkeiten der Selbstbeschreibung offen. In ihrer virtuellen
Galerie art.teleporatcia.org muß sie sich jedoch mit den
Begrenzungen des freien Kunstmarkts auseinandersetzen, womit interessante
Fragen um den Besitz von Kunst und um Garantien der Originalität
aufgeworfen werden. Dies führt sie in ihrem neuesten Projekt "Das
letzte Museum der Netzkunst" fort, wo sie ein umfangreiches Archiv
sämtlicher ihre Kunstwerke betreffenden Daten angelegt hat, unter
anderem auch Fortführungen ihrer Kunst durch andere
KünstlerInnen.
Mit ihrer Wahl der Netzsprache Englisch erforscht und thematisiert sie das
Territorium des Internet, im besonderen des russischen Internet. Sie
spricht von Überwindung von Grenzen, aber auch von Etablierung neuer
Territorien, die jetzt an Sprache statt an Raum gebunden sind. Hiermit
verweist sie auf die besondere Stellung der Schriftlichkeit und Literatur
in der russischen Kultur, die zur spezifischen Netzkommunikation
hinzukommt.
In ihren Arbeiten bezieht sie sich nicht explizit auf Frauen und
thematisiert kaum Geschlechterverhältnisse, obwohl manche ihrer
Arbeiten (z.B. myboyfriendcamebackfromthewar oder "If you want me to clean
your screen, scroll up and down") eine weibliche Perspektive auf den
vernetzten Computer suggerieren. Dennoch bezeichnet sie sich als
Cyberfeministin und ist für uns interessant, da sie aus einer
künstlerischen Praxis heraus agiert und das Thema der
Entkörperung/Verkörperung neu besetzt. Sie läßt alles
offen, spielt mit den Möglichkeiten und den vom SciFi geprägten
Erwartungen.
(Bsp.: "final will")
Unsere Darstellung wollen wir mit der Gestaltung einer Website
(www.cyberfeminismus.de) und - nach Möglichkeit - einer
e-mail-Konversation mit den russischen Cyberfeministinnen zu den genannten
Themenschwerpunkten verbinden.
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